Modellieren, MIDI und eine sehr reale Identitätskrise in einer 1-Kilo-Schachtel.
Früher habe ich über Gitarren-Modellierungs-Equipment die Augen verdreht.
Du kennst den Typ — endlose Menüs, plastikartige Verstärkerklänge, eine Benutzeroberfläche, die sich anfühlt wie das Einstellen einer Mikrowelle. Alle paar Jahre kommt eine neue Box auf den Markt, die behauptet, dein „komplettes Setup zu ersetzen“, und alle paar Jahre stecke ich sie ein und fühle... nichts.
Dann traf ich den Boss VG-800, und ich fühlte mich… neugierig. Dann überrascht. Dann ein bisschen verängstigt.
Weil dieser hier? Der ist anders.
Erster Eindruck: Mehr Effektpedal als Space Shuttle
Der VG-800 sieht unscheinbar aus – wie ein robustes Pedalboard-Prozessor mit klarem Display und den vertrauten Boss-Fußtastern. Aber unter der Haube steckt ernsthafte Frankenstein-Technologie.
Im Kern ist es ein Gitarrenmodellierungsprozessor mit voller MIDI-Integration, angetrieben von der neuen GK-Technologie (geteiltes Pickup) von Boss. Schließe eine GK-kompatible Gitarre an, und der VG-800 modelliert nicht nur Verstärker – er modelliert dein Instrumentselbst. Korpusform, Pickup-Typ, Stimmung – sogar das Verhalten der Saiten.
Es ist, als würdest du eine benutzerdefinierte Frankenstein-Gitarre bauen… aus einer Box in Laptopgröße.
Klang: Modeling, das sich nicht wie Modeling anfühlt
Hier verdient sich der VG-800 seine Streifen.
Anstatt fade digitale Annäherungen bringt er dich dazu, deinen Ton buchstäblich von der Gitarre aufwärts zu formen. Willst du einen Tele-Korpus mit einem Humbucker im Hals, einen halben Ton tiefer gestimmt, durch einen JC-120 in ein Stereo-Chorus laufend? Erledigt. Willst du eine 12-saitige Akustik mit alternativen Stimmungen und seltsamen Synthie-Texturen unter der Haube? Auch erledigt.
Und es klingt nicht wie eine Modeling-Box. Es klingt lebendig. Dynamisch. Reaktionsschnell. Ich ertappte mich dabei, wie ich tiefer reingehauen habe und der Ton reagierte wie ein echter Verstärker. Da ist dieses subtile Nachgeben, dieses harmonische Aufblühen – Dinge, die man nicht einfach mit IRs und EQ-Kurven vortäuschen kann.
Ersetzt es ein $3K Boutique-Topteil? Nein. Aber es ersetzt das Verlangen, drei Gitarren, zwei Verstärker und eine Kette von Pedalen zur nächsten Session mitzunehmen.
Performance-Features: Für die Mutigen (oder die Beschäftigten) gebaut
Das Ding ist ein Geschenk des Himmels für Live-Spieler. Du kannst benutzerdefinierte Stimmungen pro Patch zuweisen, was bedeutet, dass ein Song in Drop C ist, der nächste in Nashville-Stimmung, und du musst dich nicht einmal bücken. Der Patch-Wechsel ist nahtlos – keine Audio-Lücken, keine digitalen Aussetzer. Nur saubere, sofortige Übergänge.
Es gibt auch tiefe MIDI-Kontrolle, so dass, wenn du Backing-Tracks laufen lässt, visuelle Effekte synchronisierst oder live looppst, der VG-800 das Gehirn wird. Es ist im Grunde ein intelligentes Gitarren-Kommandozentrum.
Und die Effekte? Sehr Boss. Sehr brauchbar. Nicht weltbewegend, aber solide. Reverbs sind üppig, Overdrives sind knackig, und die Modulation ist herrlich seltsam, wenn du es willst.
Bearbeitung & Benutzeroberfläche: Fast zu tief
Wenn es einen Haken gibt, dann dieser: du kannst dich darin verlieren. Der VG-800 ist mächtig, aber menülastig. Patches vom Frontpanel aus zu bearbeiten, ist machbar, aber langsam. Du wirst den Software-Editor für ernsthaftes Bauen verwenden wollen — und selbst dann gibt es eine Lernkurve.
Aber sobald du den Dreh raus hast, macht es süchtig. Ich habe eine ganze Nacht damit verbracht, einen Gitarrenton zu basteln, der klang wie ein Banjo, das durch eine Bandmaschine die Treppe runterstürzt. Bin mir nicht sicher, ob ich es jemals benutze — aber ich könnte. Und das ist der Punkt.
Ist es was für dich? Lass uns das aufschlüsseln.
Der VG-800 ist nicht für Traditionalisten. Wenn deine Vorstellung von Klang bei Röhren, Holz und reiner Signalwegminimalismus beginnt und endet — zieh weiter. Das ist nicht dein Setup.
Aber wenn du ein:
Multi-Instrumentalist bist, der sein Live-Setup vereinfachen will
Produzent bist, der flexible Klänge ohne 12 Gitarren im Studio will
Komponist bist, der alternative Stimmungen, Synth-Layer oder sofortigen MIDI-Wahnsinn benötigt
Dann ja. Der VG-800 ist ein Biest. Ein smartes, tiefes, unglaublich fähiges Biest.
Abschließendes Urteil
Der Boss VG-800 versucht nicht, dein Gitarren-Setup zu ersetzen — er versucht, es neu zu erfinden. Und erstaunlicherweise gelingt das.
Er ist nicht perfekt. Er ist nicht plug-and-play. Aber er ist mächtig, musikalisch und seltsam auf die beste Weise — und in einer Welt voller Ausrüstung, die allmählich ineinander übergeht, reicht das, um ihm Aufmerksamkeit zu schenken.
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